Schreibabys

Informationen für Eltern mit "Schreibabys".

Anhaltende Unruhezustände mit schreienden Kindern sind insbesondere in den ersten drei bis vier Lebensmonaten bei vielen Säuglingen zu beobachten. Viele Säuglinge weisen diese Unruhezustände insgesamt ca. 1 Stunde pro 24 Stunden auf, es gibt jedoch auch Säuglinge bei denen diese Unruhezustände bis zu

5 Stunden pro 24 Stunden andauern. Als exzessiv schreiender Säugling gilt ein Säugling, der im Alter von 6 Wochen an mehr als 3 Tagen pro Woche über einen Zeitraum von mehr als 3 Wochen für mehr als 3 Stunden pro Tag schreit.


Das Schreien zeigt meist einen typischen tageszeitlichen Verlauf mit einem Gipfel in den Abendstunden zwischen 16 und 22 Uhr. Die Schreiepisoden beginnen meist in der 2. Lebenswoche, nehmen an Intensität bis zur   

6. Lebenswoche zu und gehen dann bis zum 3. Monat zurück. Betroffen ist jeder       4. - 5. gesunde Säugling.  Es gibt allerdings auch Säuglinge, die über den

3. Monat hinaus unruhig sind.


In der Vergangenheit wurden fast ausschließlich Störungen im Bereich des Magen-Darm-Traktes als Ursache für diese Unruhezustände verantwortlich gemacht und die Kinder wurden mit zweifelhaftem Erfolg mit entblähenden Medikamenten (Lefax, Sab-simplex) behandelt.


Von dieser Vorstellung ist man jetzt aus zwei Gründen abgekommen.


haben voneinander unabhängige Untersucher in Studien festgestellt, daß die oben beschriebenen entblähenden Medikamente im Vergleich zu einem Placebo (Präparat ohne Wirkstoff) keine Wirkung auf die Dauer oder Stärke der Unruhezustände haben. Das Placebo war sogar in der Wirkung besser.


hat man in Sprechstunden für sogenannte "Schreibabys" und hier insbesondere in München genügend Datenmaterial gesammelt um diese Ansicht zu widerlegen und zu beweisen, daß diese Unruhezustände auf eine Unreife der kindlichen Schlaf-Wach-Regulation und Erregungssteuerung zurückzuführen sind und daß zusätzlich die Eltern-Kind-Interaktion nicht optimal verläuft, d.h. die Eltern können häufig nicht in optimaler und für das Kind adäquater Weise auf das Kind einwirken um es zu beruhigen. Als Ursache des Säuglingsschreiens wird heutzutage eine Regulationsstörung  verantwortlich gemacht, d.h. die Selbstregulation des Säuglings ist gestört.



Dass Eltern ihre Kinder nicht in optimaler Weise beruhigen können kann folgende Gründe haben:


bei dem Kind liegen schwierige Temperamentsmerkmale (erhöhte Irritabilität, mangelnde Selbstberuhigung, mangelnde Voraussagbarkeit des kindlichen Verhaltens, eingeschränkte Anpassungsfähigkeit an wechselnde Situationen) vor.


das Kind hat neuromotorische Auffälligkeiten, d.h. das Bewegungsmuster des Kindes ist nicht ausgereift und altersgerecht.


die Eltern beruhigen das Kind nicht in der Weise, wie es für das Kind optimal wäre, sie beruhigen das Kind also nicht so, wie dieses es sich wünscht.


manchmal liegen auch psychosoziale Belastungen bei den Eltern vor, die das Kind wahrnimmt und die eine optimale Beruhigung des Kindes verhindern. Solche Belastungen sind häufig Partnerschaftskonflikte, Ängste oder auch Einschränkungen des mütterlichen Selbstwertgefühls. Manchmal mangelt es auch an sozialer Unterstützung durch das Umfeld. So undifferenziert wie ein Säugling erscheint ist nämlich die Wahrnehmung eines Säuglings nicht. Ein Säugling kann schon sehr differenziert Stimmungen wahrnehmen und darauf mit Unruhezuständen reagieren.



Wie können Sie nun Ihrem Kind helfen?


sollten Sie ausreichende kindliche Tagschlafphasen sicherstellen, d.h. Sie sollten Schlaf- und Ruhephasen bei ersten Anzeichen von Müdigkeit ermöglichen.


sollten Sie Übermüdung und Überreizung vermeiden.


sollten Sie Ihre Beruhigungspraktiken an die individuellen Verhaltensbedürfnisse des Kindes anpassen, was gerade in der Anfangsphase sehr schwierig ist, da auch Sie erst lernen müssen, was Ihr Kind sich wünscht.


falls psychosoziale Belastungen vorliegen, sollte angestrebt werden, dass die Mutter oder die primäre Bezugsperson entlastet wird.


insbesondere wenn eine Bewegungsstörung vorliegt sollte ein optimales "Handling" durchgeführt werden, d.h., bei allen Bewegungen und Manipulation, die Sie an ihrem Kind vornehmen, sollten Sie auf ein optimales Bewegungsmuster achten. Beachten Sie dazu den Artikel "Praktische Hinweise für das Händling des Säuglings" in unserer "Infomappe" im Wartezimmer.


einen sehr hohen Stellenwert nimmt die Strukturierung des Tagesablaufs ein. Hier sollten Sie:


eine Reizreduktion vornehmen: Schaffen von gemeinsamen Ruheinseln am Tag, abgedunkeltes Zimmer, sanfte Musik, sanftes Wiegen auf dem Arm, beruhigendes Summen-Zureden-Singen. Vermeidung von intensiver, ständig wechselnder Stimulation und Vermeidung überstimmulierender Beruhigungsstrategien wie andauerndes Tragen und Anbieten ständiger vestibulärer, visueller und akustischer Reize.


Übermüdung vermeiden. Regelmäßig nach 1 bis 1,5 Std. Wachzeit allmählich zur Ruhe und frühzeitig zum Schlafen bringen.


einen zyklischen Wechsel von Aufwachen-Stillen/Fläschchen (anschließend Nickerchen)-Wachphase-Schlaf anstreben.


Ausnutzen von Wachphasen für entspannte Zwiegespräche, Spielchen und Anregungen. Je besser die Wachzeit, um so leichter das Einschlafen, um so geruhsamer der Schlaf.


kritische Schreistunden am Tag oder am Abend überbrücken durch Spazierenfahren oder Spazierengehen mit Tragetuch/-sack


Timeout für die Mutter zur eigenen Entspannung. Ablegen des Kindes bei großer Anspannung Wut und Erschöpfung. Erst selbst entspannen, dann das Kind beruhigen.


es gibt kein Patentrezept für Beruhigungs- und Einschlafhilfen. Wichtiger als die Methode ist die Regelmäßigkeit. Gewöhnung des Babys an bestimmte "Routinen". Ständigen Wechsel und immer neues Ausprobieren vermeiden. Sanftes Vorgehen, ohne Hektik.


Vorsicht!!! Sie sind als betroffene Eltern unweigerlich stark belastet. Durch Schlafdefizit, Verunsicherung und Selbstzweifeln an der elterlichen Kompetenz kann ein Überlastungssyndrom entstehen, bei dem die Eltern in ihrer Verzweiflung ihr Kind schütteln, schlagen oder versuchen das Schreien ihres Kindes zu ersticken. Wenn es Ihnen also mit den obigen Maßnahmen nicht gelingt einen für Sie annehmbaren Zustand zu erreichen, bitten Sie uns um professionelle Hilfe durch eine spezielle Einrichtung der Stadt Karlsruhe oder durch den Kinderschutzbund.




Verantwortlich für den Inhalt gemäß § 55 Abs. 2 Rundfunkstaatsvertrag ist


Dr. med. Manfred Reichert